Tech-à-porter

Der vermessene Mensch
Christ Dancy ist viel unterwegs. Zwischen 9.000 und 26.000 Schritte ist er vergangene Woche täglich gelaufen, von Stockholm nach Montreal gereist, wo er gestern Nachmittag im Subway gegessen hat. Wo auch immer der Amerikaner aus Brentwood, Tennessee, gerade unterwegs ist – seine Vitalwerte wie Puls- und Herzschläge werden ununterbrochen gemessen und gespeichert. Einige davon darf jeder sehen. Der „most connected human on earth“ veröffentlicht viele seiner Daten auf seine Website. „Hallo ich bin Chris Dancy. Und ich bin 48,478155525 Jahre alt“, begrüßt er die Besucher, während seine Lebensuhr daneben brav weiterläuft.

Seit 2008 vermisst der ehemalige Software-Entwickler sein Leben mit Datenbrille, Fitnessarmband, Smart Watch und weiteren sogenannten Wearables. Das sind mit Sensoren bestückte Geräte, die unaufhörlich Daten sammeln und diese über eine Schnittstelle via Internet an seinen Computer zur Auswertung weiterleiten. Mehr als 700 Sensoren sind für seine Vermessung im Einsatz. Sie nehmen seine Körperdaten auf, Schlaf- und Wachphasen, Ess- und Trinkgewohnheiten, alles, was er sagt, schreibt und sieht.
Wearables in Kürze
Wearables sind mit Sensoren bestückte Geräte wie Smartwatches, Fitnessarmbänder, Schrittzähler oder vernetzte Sportbekleidung wie Schuhe, die Daten sammeln und diese über eine Schnittstelle via Internet an seinen Computer zur Auswertung weiterleiten.
Dancy macht das freiwillig. Er will sich selbst optimieren. Es fing damit an, dass sein Arzt seine Gesundheitsdaten nicht richtig aufzeichnen konnte. Also nahm er es selbst in die Hand. Irgendwie fand er kein Ende mehr - heute gilt er als der erste „gläserne“ Mensch. Selbstverständlich ist auch sein Haus vernetzt. Mit einer iPhone-App regelt er das Licht und die Temperatur. Das Internet ist bei ihm längst zum Innernet mutiert und sein Leben zum Wikipedia seiner selbst, in dem er jederzeit nachschlagen kann.
Der Amerikaner Dancy ist längst nicht der einzige Selbstoptimierer, wenn auch der exzessivste. Bereits seit 2007 existiert in Kalifornien die „Quantified Self“-Bewegung, die inzwischen Anhänger und Gruppen rund um den Globus hat. Auch der Internet-Riese Google mischt mit seinem Google X Life Science Team mit. Die mit Wearables gesammelten Daten münden in einer umfassenden Datenbank zum menschlichen Körper mit dem Ziel, Krankheiten so früh wie möglich zu erkennen.

Gesundheit und Fitness in Dauerüberwachung
Die Wearables-Jünger möchten vor allem ihren Gesundheitszustand und ihr Training verbessern. Laut einer internationalen GfK-Studie überwachen oder erfassen ein Drittel der Internetnutzer weltweit ihre Gesundheit und Fitness mit App, Fitness-Tracker oder Smartwatch. Am eifrigsten in China, Brasilien und in den USA (je 29 Prozent); dicht gefolgt von Deutschland (28 Prozent). Befragt wurden 20.000 Internetnutzer ab 15 Jahren in 16 Ländern. Hierzulande sind es vor allem die Jüngeren zwischen 15 und 19 Jahren und dann wieder die Älteren ab 60 Jahren, die sich der Dauermessung verschrieben haben. „Die Studie zeigt, dass das Kontrollieren von Gesundheit und Fitness für ein weites Spektrum an Altersgruppen interessant ist“, erklärt Jan Wassmann, GfK-Experte für Wearables.
Für die Hersteller ist der Markt lukrativ: Im vergangenen Jahr wurden nach GfK-Schätzungen weltweit 122 Millionen Wearables verkauft. Das globale Marktvolumen beziffern die Marktforscher auf 13,3 Milliarden US-Dollar – ein gigantisches Geschäft.

Kein Wunder also, dass neben bekannten Sportmarken wie Adidas, Nike oder Under Armour oder Geräteherstellern wie Garmin, Fitbit und Polar auch Technologiekonzerne wie Apple, Google und LG mit entsprechenden Angeboten mitmischen. Was früher aufwendig von Hand protokolliert werden musste, erledigt eine App im Hintergrund automatisch. Sie unterstützt etwa Kranke bei der regelmäßigen Medikamenteneinnahme; im Sportbereich messen die Wearables gelaufene Kilometer, Schnelligkeit, Herzfrequenz, Kalorienverbrauch. Sie warnen rechtzeitig, wenn neue Laufschuhe fällig sind: Denn nach rund 650 Kilometern zeigen Schuhe Verschleißerscheinungen, so dass Verletzungen drohen. Sportler müssen sich künftig darüber keine Gedanken mehr machen, wenn sie zum Beispiel die App von Under Armour geladen haben. Sie zählt im Hintergrund mit und erinnert rechtzeitig daran, neue Schuhe zu kaufen.
"Wir müssen Transparenz für die Gesundheitsdaten schaffen: Welche Daten werden wie lange und wo gespeichert? Wer hat Zugriff auf die Daten? Wie ist der Zugriff durch unbefugte Dritte abgesichert?"

Gesundheitsdaten: Sicherheit hat höchste Priorität
„Das größte Potenzial von Wearables liegt in der Prävention von Krankheiten und in der medizinischen Versorgung von Patienten“, erklärt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. In einer repräsentativen Umfrage von Bitkom Research unter 1.236 Personen ab 14 Jahren wären Dreiviertel der Befragten bereit, ihre gemessenen Vitalwerte im Krankheitsfall an ihren Arzt zu schicken. Unter den chronisch Kranken sind es sogar 93 Prozent. „Bei der Verarbeitung der besonders sensiblen Gesundheitsdaten müssen die höchsten Standards für Datenschutz und technische Sicherheit der Geräte eingehalten werden“, fordert Rohleder. So sollte zum Beispiel die Speicherung und Auswertung der Daten für den Nutzer so transparent wie möglich erfolgen und Daten nur nach Einwilligung an Dritte weitergegeben werden.
Bei der technischen Sicherheit sollte die drahtlose Übertragung von Daten, zum Beispiel zwischen Fitness-Armband und einem Smartphone, verschlüsselt erfolgen. Zudem sollten sich die Geräte untereinander eindeutig identifizieren und authentifizieren, um zu verhindern, dass Daten von Unbefugten einfach abgegriffen werden können. „Verbraucher sollten bei der Auswahl von Fitness-Trackern auf die technischen Sicherheitsmerkmale achten und die Datenschutzerklärung sehr sorgfältig lesen“, rät Rohleder.
Kunden sollten bedenken: Selbst der gläserne Chris Dancy stellt nicht alles online.









Video: Digitalisierung und Gesundheit
Interview mit Prof. Christiane Woopen, Direktorin des Cologne Center for Ethics, Rights, Economics, and Social Sciences of Health (ceres) an der Universität zu Köln.
Weiterführende Links zum Thema
>> 10 Tech-Trends 2017: Mykie, Kuri, C-Me & Co.
>> Von Cloud bis IoT - Trends der Digitalisierung
>> Design-Trends 2017: Drei wichtige Entwicklungen
